Alles hat seine Zeit - Auf Wiedersehen!
Der US-amerikanische Sänger Pete Seeger (1919-2014) hat 1950 ein Lied
geschrieben - 6 Jahre bevor ich zur Welt kam - mit dem Titel: "Turn,
turn, turn." Alle haben dieses Lied bestimmt schon einmal im Radio
gehört. (1963 hat es Marlene Dietrich mit einem deutschen Text gesungen:
"Für alles kommt die Zeit (glaub, glaub, glaub)".)
Obwohl Pete
Seeger dieses Lied also schon 1950 geschrieben hat, ist es erst 1965
durch die US-amerikanische Band "The Byrds" richtig bekannt geworden.
Der Text des Liedes ist ein Bibeltext, der Anfang des 3. Kapitels im
Buch Prediger: "Alles hat seine Zeit und jedes Vorhaben unter dem Himmel
hat seine Stunde." Pete Seeger hat den Text ziemlich wörtlich aus der
englischen King-James-Bibel übernommen.
"Alles hat seine Zeit: das
Geboren werden und das Sterben, das Pflanzen und das Ausreißen dessen,
was gepflanzt ist, das Töten und das Heilen, das Abbrechen und das Bauen
... Das Lied ist inzwischen ein Oldie und ich bin auch älter geworden.
So hatte mein Berufsanfang seine Zeit und jetzt hat das Berufsende seine
Zeit.
Am 6. April 1986 hatte ich in der Kirche in Lindenstruth
meinen ersten Gottesdienst, meine Ordination, die Beauftragung zum
Pfarrdienst. Am 17. Juli 2022 habe ich meinen letzten Gottesdienst
als
Pfarrer für Burkhardsfelden und Lindenstruth in der Burkhardsfelder
Kirche gehalten, in dem ich entpflichtet wurde. Danach beginnt mein
Ruhestand - offiziell am 1. September 2022, aber ich hatte mir meinen
Jahresurlaub aufgehoben, weil mir die Sommerferien ein guter Einschnitt
zum Aufhören schienen.
"Turn, turn, turn" heißt es im Lied. Es ist im
Deutschen nicht gut mit nur einem Wort zu übersetzen, was gemeint ist:
"Kehr um, dreh dich um ...", die wörtliche Übersetzung, trifft es nicht
richtig. Was gemeint ist, ist das: Alles hat seine Zeit. Alles ist
begrenzt. Das ist schade, wenn etwas Schönes seine Zeit hatte und zu
Ende geht: das Pflanzen, das Lachen, das Aufbauen. Man erlebt dann
anderes und sieht zurück auf das, was gewesen ist, hat aber keinen
wirklichen Blick für das, was kommen kann.
Mir bleibt eine - aufs
Ganze gesehen - schöne Zeit in Erinnerung. Daran haben all die Menschen,
mit denen ich in den vielen Jahren zu tun hatte, ihren Anteil. Als
Berufsanfänger hat mich Propst Helmut Grün zusammen mit meiner Frau (die
ein dreiviertel Jahr vor mir angefangen hatte) nach Burkhardsfelden und
Lindenstruth geschickt. Bis 2010 haben wir uns die Stelle geteilt,
danach gehörte auch Lindenstruth zu meinem Aufgabengebiet. Alle haben
mich wohlwollend begleitet. Jeder Ratschlag hat weitergeholfen, jedes
Lob hat gut getan und jede kritische Anmerkung hat mich mich
weiterentwickeln lassen. Geholfen hat mir auch, dass niemand von einem
30jährigen, der ich am Anfang war, erwartet hat, auf alles eine Antwort
zu wissen. Die weiß ich auch mit 65 noch nicht. Aber die vielen
Gespräche haben mich in meinem Glauben wachsen lassen.
In über 30
Jahren hatte auch für mich Vieles seine Zeit: die alltäglichen Aufgaben,
die besonderen Feste, Freude und Leid, Besuch im Krankenhaus und zu
Hause, Schule und Konfirmandenunterricht, das wecare Seniorenzentrum
Wiesecktal und das Martinsheim. Gerne erinnere ich mich zurück an
Jubiläen, die Vereine in beiden Dörfern mit Gottesdiensten gefeiert
haben, aber auch daran, dass sie mich zu Festveranstaltungen eingeladen
und um ein Grußwort gebeten haben. Gottesdienste an anderen Orten als in
der Kirche bleiben in guter Erinnerung: in der Meilbach, auf dem
Sportplatz, neben dem Sportplatz, im Zelt und unter Pavillons und im
Haus der Chrischonagemeinschaft. Dass ich aufgrund der langen Zeit, die
ich in beiden Dörfern war, in mancher Familie mehrere Generationen
begleitet habe, habe ich als eine besondere Seite meines Dienstes
empfunden. Ich bin dankbar für die vielen Einblicke in ganz private und
persönliche Lebensumstände. Nicht immer sind mir Wege in Häuser leicht
gefallen. Manche Last, die Menschen zu tragen hatten, hat auch mich
mitgenommen. Wenn ich dennoch tröstende oder ermutigende Worte gefunden
habe, dann hatte sie mir Gott in den Mund gelegt.
Dieses Vertrauen
in Gottes Gegenwart hat mir geholfen, dass die Belastungen durch den
Dienst nie die Freude am Dienst haben nehmen können. Jetzt erwarte ich
neue Zeit. Ohne dass ich genau auflisten könnte, was ich ab jetzt tun
werde, bin ich genau so zuversichtlich, wie vor 36 Jahren, dass mich
Gott durch die Zeiten führen wird - solange er mir Zeit schenkt.
"Alles
hat seine Zeit, und jedes Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde."
Ich wünsche mir, dass auch die Kirchengemeinden mit Zuversicht nach
vorne sehen. Alten Zeiten nachtrauern ist keine Lösung. Das Leben liegt
vorne. "Dreh dich um, sieh nach vorne. Auch wenn es jetzt erst einmal
eine Zeit des Übergangs gibt, so ist diese Zeit doch auch begrenzt. Die
vertrauten Abläufe sind nur vorübergehend unterbrochen. Für eine gewisse
Zeit, wird man erst nachsehen müssen, wer Vertretung hat und wo man
anrufen kann. Die verschiedenen Predigerinnen und Prediger, die nun
sonntags die Gottesdienste halten, werden sicher ein Gewinn sein.
Mit
einer neuen Pfarrerin oder einem neuen Pfarrer wird dann wieder etwas
Neues seine Zeit haben. Ich hoffe und wünsche den Kirchengemeinden, dass
es bis dahin nicht so lange dauert. "Turn, turn, turn ..." Das Lied hat
eine eingängige, froh stimmende Melodie, die zuversichtlich stimmt:
Gott wendet alles so, dass es eine gute Zukunft gibt.
Dem Zeitgeist
entsprechend (Vietnam-Krieg, "Kalter Krieg") haben Pete Seeger und die
Byrds als gute Zukunft eine Zeit des Friedens vor Augen. Das ist am Ende
des Liedes ihre Überzeugung: Es wird eine Zeit des Friedens kommen.
"Ich schwöre, es ist nicht zu spät."
Für mich bei meinem Abschied
schließt das Lied gedanklich so: Nicht nur für mich wird es einen
Neuanfang geben, auch für die Kirchengemeinden. Und der wird sich
genauso entwickeln wie vor 36 Jahren. Diese Zeit des Neuanfangs braucht
ein besonderes Umdrehen: Sieh weg von dir selber. Sieh auf den, der
jedem Vorhaben unter dem Himmel seine Stunde gibt. Sieh auf Gott, der
die Zeit in seinen Händen hält. Er hält die Zeit nicht fest, sondern
lässt sie laufen. Gott lässt die Zeit laufen, damit Neues gut werden
kann.
Vielen Dank für alles. Auf Wiedersehen - wo auch immer. Bleiben Sie alle Gott befohlen.
Ihr Dieter Sandori, bald Pfarrer i.R.